Vom Vogtland zum Bayerischen Wald Mit den Verkehrsfreunden Stuttgart e.V. unterwegs Ein Auszug aus dem Fahrtbericht von Bettina Plettig
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Ich hasse Spinnen. Nichts ekelt mich mehr als in ein Spinnennetz zu greifen oder eines
dieser zugegebenermaßen nützlichen Tiere im Haus zu haben. Aber die Zwieseler Spinne,
die gefällt sogar mir. Stellen Sie sich Zwiesel als Körper vor: ein Bein nach Norden, das
ist Zwiesel-Bayerisch Eisenstein. Eines nach Südosten - Zwiesel-Grafenau. Das nächste
nach Nordwesten: Zwiesel-Bodenmais, und das letzte Bein zeigt nach Westen:
Zwiesel-Gotteszell. Das ist die Zwieseler Spinne. Zwei der Beine, nämlich die nach
Bayerisch Eisenstein und Gotteszell haben wir schon befahren. Heute gilt es, die beiden
anderen Beine nach Bodenmais und Grafenau kennenzulernen. Denn was wären Verkehrsfreunde,
die nicht alle von Zwiesel ausgehenden Strecken befahren würden. Selbstverständlich muß
man bei dieser Streckenanordnung immer wieder zum Ausgangspunkt Zwiesel zurück, um in eine
andere Richtung fahren zu können. Wir werden heute als erstes den Streckenast nach
Bodenmais befahren, nach Zwiesel zurückkehren, umsteigen und dann nach Grafenau zum
Mittagessen fahren. |
Der Ort Schwarzach selbst müßte eigentlich ein Pilgerort der Bayern sein, denn hier steht das erste Weißbierbrauereihaus Bayerns. In vielen Kurven geht es durch massenhaft Wald stetig bergauf. Kein Wunder, daß diese Bahn Waldbahn heißt. Es gibt viel zu sehen, entlang der Strecke, touristische Höhepunkte, die man am besten zu Fuß erreicht. An vielen der vorgesehenen Haltepunkte hält der Zug nur dann, wenn entweder Fahrgäste an dem Haltepunkt stehen oder innen der Knopf zum Aussteigen gedrückt worden ist. Zur Stadt Bodenmais fällt die Strecke steil ab. Ursprünglich war eine Weiterführung nach Kötzting geplant, die aber nie verwirklicht worden ist. Der Bahnhof liegt deshalb am westlichen Ausgang der Stadt; für die Waldbahn heißt das, daß der Ort fast ganz durchfahren werden muß. Die ganze, wunderbare Strecke von Zwiesel nach Bodenmais wird in weniger als zwanzig Minuten bewältigt. Schon eine viertel Stunde nach der Ankunft geht es wieder zurück zum Ausgangspunkt Zwiesel. Die Zeit reicht gerade, um die unmittelbare Umgebung des Bahnhofs zu inspizieren. Und die kann sich wahrlich sehen lassen! |
Dieser Brunnen auf der der Stadt zugewandten Seite des Bahnhofes gefällt mir besonders gut.
Auf einer Stele stehen drei gußeiserne Personen: Eine Frau, die einen Karren schiebt und
ein Paar, das seine Koffer auf diesen Karren auflädt. So stelle ich mir das klassische
Bild ehemaligen Gepäcktransports vor. Kompliment an die Architekten des Ensembles, die um
den Bahnhof herum Elemente des Bahnbetriebs und der Eisenbahn künstlerisch dargestellt
haben. Auch das war damals, als ich das erste Mal hier war, noch nicht so. Auf der selben
schönen Strecke fahren wir zurück zum Körper unserer Spinne und sind nach kurzem
Aufenthalt in Zwiesel auf dem Weg nach Grafenau.
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Nach dem wohlschmeckenden Mittagessen in Grafenau fahren wir wieder zurück zum Bauch der
Spinne nach Zwiesel, um das dritte Bein nach Bayerisch Eisenstein zu befahren. In
umgekehrter Richtung waren wir das Stückchen bei unserer Ankunft nach der Durchfahrt
durch die Tschechische Republik bereits gefahren. Aber heute Nachmittag gilt unsere ganze
Energie dem Bahnhof Bayerisch Eisenstein, seiner Geschichte und dem Localbahnmuseum.
Ein RegioShuttle der Waldbahn lädt uns um kurz vor halb vier in Bayerisch Eisenstein aus,
und wir begeben uns direkt zum Localbahnmuseum Bayerisch Eisenstein. Aber schauen Sie auf
dem kurzen Fußweg vom Bahnhof zum Museum bitte erst einmal nach rechts vorne. Sehen Sie
den großen Berg mit den zwei Türmen, die wie große Ohren aussehen? Das ist der Arber, mit
1456 m der höchste Berg des Böhmerwalds. Daneben der Kleine Arber, der immerhin noch 1384
Höhenmeter aufweisen kann. Wunderschön liegt die Gruppe vor Ihnen, keine Wolke davor,
kein Dunst - erhaben und majestätisch, alles überragend. So klar und deutlich sieht man
den Arber nur von Bayerisch Eisenstein aus, von der einige Meter über der Stadt gelegenen
Straße zwischen dem Bahnhof und dem Museum. Allein für diesen Blick hat sich der Ausflug
hierher schon gelohnt. Aber nun müssen wir uns etwas beeilen, um den Anschluß an die
Gruppe nicht zu verlieren, denn es ist eine gemeinsame Führung im Museum vorgesehen. |
Daß die Strecke von Zwiesel hier herauf überhaupt noch betrieben wurde, ist fast schon ein
Bundesbahnwunder. Als die Dampfloks verschwanden verkümmerte das Bahnbetriebswerk mit
seinem 7gleisigen Rundschuppen zur Bedeutungslosigkeit und wurde 1978 von der Bundesbahn
aufgegeben. Wegen der historischen Bedeutung und der einmaligen Innenkonstruktion wurde
es unter Denkmalschutz gestellt. Der 1975 gegründete Bayerische Localbahnverein konnte
das Gebäude 1981 anmieten und es seit 1993 als Museum der Öffentlichkeit zugänglich
machen. Aber wie sah es darin aus! Eingestürzte Dachteile, die herrliche Holzkonstruktion
des Daches - sie erinnert an einen umgedrehten, spitzen Schiffsrumpf - war bis zur
Unkenntlichkeit geschwärzt. Vom Holz war nichts mehr zu sehen. Einige wenige, diffuse
Glühbirnen an der hohen Decke spendeten ein am Boden kaum mehr wahrzunehmendes Licht. Mit
ein bißchen Phantasie kann man sich vorstellen, welch reizlosen und anstrengenden
Arbeitsplatz die Bahnbeschäftigten 1978 verließen. |
Im Laufe der Jahre, die wir schon gemeinsam mit den Verkehrsfreunde Stuttgart unterwegs
waren, haben wir viele Bahnhöfe kennengelernt, die in einer Zeit gebaut worden sind, in
der die Eisenbahn etwas Neues und Modernes war, in der wegen und mit der Eisenbahn Städte
entstanden und der Handel blühte. Heute erscheinen uns diese Bahnhöfe monumental und
überdimensioniert. Aber zu ihrer Zeit war ihre Größe durchaus ihrer verkehrstechnischen
Bedeutung angemessen. Zu diesen ehemals 'großen' Bahnhöfen gehörte auch der Bahnhof
Bayerisch Eisenstein. Als er 1877 gebaut wurde, war die Eisenbahn gerade geboren - sie
führte ein neues Zeitalter an. |
Heute, wo die Sperranlagen verschwunden sind, wo man wieder mit dem Zug zwar nicht durchfahren, aber doch wenigstens mit Umsteigen am selben Bahnsteig planmäßig nach oder von Tschechien von oder nach Bayern gelangen kann, haben sich auch die Preise des Restaurants normalisiert. Es ist Ehrensache, hier nach der Besichtigung des Localbahnmuseums einen Kaffee oder ein Bier zu trinken, die Einrichtung zu bewundern und an alte Zeiten zu denken, die einerseits leider, andererseits Gott sei Dank vorbei sind - je nach dem, wie lange sie her sind. Den umtriebigen Wirt des Bahnhofrestaurants hatten wir gestern schon auf unseren heutigen Besuch vorbereitet; eine zusätzliche Bedienung hilft ihm heute, die Wünsche der Verkehrsfreunde zu erfüllen, die sich auf der Terrasse in der Sonne räkeln. Nachdem erst kurz vor Beginn unserer Studienfahrt ein ausführlicher Bericht über Bayerisch Eisenstein und seinen Bahnhof in der Sendung "Eisenbahnromantik" gesendet worden ist, genießen noch mehr Gäste die nostalgische Atmosphäre. |
An diesem, unserem letzten gemeinsamen Abend greift auch Herr Blaschke noch einmal zum
Mikrofon, um seine zweite Rede zu halten. Sie erinnern sich: Bei mehr als drei
Übernachtungen haben wir Anspruch auf zwei Reden. Amüsant zieht er Bilanz der
Studienfahrt, die morgen zu Ende gehen wird und bedankt sich nochmals für die
unglaubliche Arbeit und den Einsatz aller Organisatoren. Sein Dank gilt sehr herzlich
allen beteiligten Verkehrsbetrieben. Ein schönes Kompliment macht Herr Blaschke
allen Verkehrsfreunden: Die letzten Tage hätten gezeigt, daß wir eine Truppe seien,
die nichts so schnell aus der Ruhe bringen könnte und die auch mit Unvorhergesehenem
fertig würde. So eine Gruppe brauche man, wenn man heutzutage Bahn fahren wolle! Herr
Blaschkes Ansprache ist das Ende des offiziellen Teils des heutigen Abends.
Demnächst kommt der Bus, der uns wieder zum Chrysantihof bringen soll. Ohne mich! Neun
Uhr abends, letzter Abend, keine Bar im Hotel, noch nicht müde - kommt ja gar nicht in
Frage, daß ich da schon heim gehe, gesundes Bayern hin oder her! |